„Eingeschlafen“ – und nie wieder aufgewacht?
Warum wir mit Kindern über den Tod sprechen müssen – ehrlich, klar und liebevoll


Mara
Sterbe- und Trauerbegleitung
Liebe Wegbegleiter!
Der Tod ist ein Thema, das vielen Menschen schwerfällt. Wir wissen oft nicht, wie wir darüber sprechen sollen – weder mit Erwachsenen, noch mit Kindern. Und besonders bei Kindern greifen wir dann gern zu scheinbar tröstenden Floskeln: „Opa ist eingeschlafen“, „Mama ist jetzt ein Engel“, „Er ist auf eine lange Reise gegangen“. Doch was gut gemeint ist, kann bei Kindern tiefe Verunsicherung, Angst und sogar körperliche Reaktionen auslösen. In diesem Beitrag erfährst du, warum es so wichtig ist, ehrlich über den Tod zu sprechen – besonders mit Kindern, wie du kindgerechte Sprache findest, und wie offene Kommunikation Mut machen kann.
Warum reden wir so ungern über den Tod?
Der Tod ist das letzte große Tabuthema unserer Zeit. In einer Welt, in der alles verfügbar, optimierbar und planbar scheint, passt der Tod nicht ins Bild. Wir haben verlernt, ihn als Teil des Lebens zu akzeptieren. Viele Erwachsene haben Angst, sich dem Schmerz zu stellen – und noch mehr Angst davor, ihn ihren Kindern zuzumuten.
Deshalb versuchen wir, ihn zu umschreiben, zu beschönigen, wegzuerklären. Wir sagen, jemand sei eingeschlafen, fortgegangen, weggeflogen, ins Licht gegangen. Wir hoffen, dass das die Trauer mildert, dass wir Kinder damit schützen können.
Aber das Gegenteil ist der Fall.
Wenn Worte Angst machen
Anna, 6 Jahre alt, lebte mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder in einer liebevollen Familie. Als ihr Lieblingsonkel plötzlich starb – nach einem schweren Herzinfarkt – standen die Eltern vor der Frage: Wie sagen wir es Anna?
Sie entschieden sich für eine Formulierung, die gut gemeint war: „Der Onkel ist eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.“ Die Hoffnung war, dass das weniger traurig klinge und sie nicht zu sehr belaste.
Doch was dann passierte, hatte niemand erwartet.
Anna entwickelte panische Angst vor dem Einschlafen. Sie fragte abends immer wieder: „Was, wenn ich auch nie wieder aufwache?“ Sie weinte, klammerte sich an ihre Eltern, verweigerte schließlich das Zubettgehen ganz. In der dritten Nacht ohne Schlaf war sie so erschöpft, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden musste. Diagnose: körperliche und emotionale Überforderung.
Erst als eine Kinderpsychologin den Eltern erklärte, was passiert war, wurde das ganze Ausmaß deutlich. Die gut gemeinte Floskel hatte Anna in Angst versetzt, weil sie wortwörtlich verstanden wurde – so, wie es Kinder in ihrem Alter eben tun.
Als die Eltern schließlich offen mit ihr sprachen und erklärten: „Der Onkel ist gestorben. Sein Herz war krank und hat aufgehört zu schlagen. Das passiert alten oder sehr kranken Menschen, nicht einfach so beim Einschlafen“, konnte Anna die Situation verarbeiten. Sie fing an, wieder zu schlafen – und auch zu fragen. Und die Eltern fingen an, zu antworten.
Kinder denken konkret – deshalb brauchen sie klare Worte
Kinder zwischen zwei und zehn Jahren haben noch kein abstraktes Verständnis vom Tod. Sie erleben die Welt wortwörtlich, konkret, greifbar. Wenn du also sagst: „Oma ist eingeschlafen“, dann versteht ein Kind das genau so – und entwickelt unter Umständen Angst davor, selbst einzuschlafen. Wenn du sagst: „Mama ist jetzt ein Engel“, denkt ein Kind vielleicht, dass sie jederzeit zurückkommen könnte – oder sich einfach nur versteckt hält.
Kinder wollen verstehen – und sie können mehr verstehen, als wir oft glauben.
Was wir sagen sollten – und was lieber nicht
❌ Vermeide:
„Er ist eingeschlafen.“
„Sie ist auf eine Reise gegangen.“
„Er schaut von oben auf dich herab.“
„Sie hat uns verlassen.“
„Gott hat ihn zu sich geholt.“
✅ Sag stattdessen:
„Opa ist gestorben.“
„Sein Herz hat aufgehört zu schlagen.“
„Er kann nicht mehr zurückkommen.“
„Wir werden ihn vermissen.“
„Es ist traurig, und du darfst traurig sein.“
Solche klaren Aussagen helfen Kindern, Realität einzuordnen, Sicherheit zu bekommen und Vertrauen in dich als Bezugsperson zu entwickeln.
Was Kinder wirklich brauchen, wenn jemand stirbt
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, brauchen Kinder drei Dinge ganz besonders:
Ehrliche Informationen – altersgerecht, aber klar.
Raum für Gefühle – Trauer, Wut, Angst, Fragen.
Zugewandte Erwachsene, die zuhören, aushalten und begleiten.
Das bedeutet nicht, dass du immer sofort die richtigen Worte haben musst. Es bedeutet nur, dass du bereit bist, dich gemeinsam mit dem Kind auf den Weg zu machen, das Unbegreifliche ein wenig begreifbarer zu machen.
„Aber ich will mein Kind doch schützen…“
Natürlich willst du das. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass du ehrlich bist. Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt. Sie merken die Anspannung, das Schweigen, die Tränen, die hinter verschlossenen Türen fließen. Wenn du dann vorgibst, alles sei in Ordnung oder jemand sei „nur weg“, verstärkst du das Gefühl von Unsicherheit.
Du schützt dein Kind nicht vor dem Schmerz – aber du kannst es davor schützen, ihn allein tragen zu müssen.
Offenheit schafft Nähe – auch über den Tod hinaus
Wenn du über den Tod sprichst, öffnest du die Tür zu einem Gespräch über das Leben. Über Liebe, über Abschied, über Erinnerung. Du zeigst, dass es okay ist, traurig zu sein – und dass Trauer ein Ausdruck von Liebe ist.
Gerade in Familien, in denen offen gesprochen wird, erleben Kinder Trauer oft natürlicher, weniger traumatisch und langfristig gesünder. Sie entwickeln ein inneres Vertrauen in die Prozesse des Lebens – auch die schmerzhaften.
Wie du anfangen kannst – ein paar Worte als Einstieg
Du musst keine perfekten Sätze haben. Es reicht, echt zu sein.
Zum Beispiel:
„Ich muss dir etwas Trauriges sagen…“
„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich möchte ehrlich mit dir sein…“
„Du darfst alles fragen, was du möchtest. Ich versuche, dir alles zu erklären.“
Und wenn du keine Antwort weißt, dann sag:
„Ich weiß es gerade selbst nicht. Aber wir finden es gemeinsam heraus.“
Fazit: Sag ruhig, dass jemand gestorben ist
Der Tod gehört zum Leben. Und Kinder gehören ins Leben – auch in das mit Abschieden und Schmerz.
Wenn du mit einem Kind über den Tod sprichst, dann sprich mit offenem Herzen und klaren Worten. Du wirst merken: Kinder haben ein feines Gespür für Wahrheit. Und sie danken dir deine Ehrlichkeit – oft auf ganz stille, aber tiefe Weise.
Denn über den Tod zu reden, hat noch niemanden umgebracht.
Aber das Schweigen darüber kann sehr viel kaputt machen.
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